Die heutige Entwicklung im Bereich der Geldanlage ermöglicht es Interessierten, dank des Internets auf eine Vielzahl von Angeboten zur Vermögensbildung zuzugreifen. Diese reichen von herkömmlichen Tages- oder Festgeldkonten bis hin zu komplexen Investmentmöglichkeiten von Online-Vermögensverwaltungen. Für diejenigen, denen das Thema Kapitalanlage im Internet nach wie vor etwas suspekt erscheint, bietet sich die Möglichkeit, sich an einen qualifizierten Anlageberater zu wenden. Ein solcher Berater unterstützt nicht nur bei der Identifizierung von geeigneten Anlagestrategien, sondern spielt auch eine zentrale Rolle bei der Bewertung der individuellen Risikobereitschaft und der Ausrichtung auf vordefinierte Anlageziele.
Die Frage bleibt jedoch: Warum wird in diesen Beratungsgesprächen so beharrlich das Thema Nachhaltigkeit angesprochen?
Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen ist seit 2022 Pflicht
Diese Frage ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass seit einem Jahr die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen zu einem obligatorischen Bestandteil von Beratungsgesprächen über Finanz- und Versicherungsanlageprodukte geworden ist. Diese gesetzliche Vorgabe des europäischen Gesetzgebers zielt darauf ab, Investitionen in eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu lenken. In diesem Zusammenhang wurden die europäischen Richtlinien Mifid II für den Finanzvertrieb und IDD für den Versicherungsvertrieb durch entsprechende Verordnungen angepasst. Seit dem 2. August 2022 sind Finanzberaterinnen und -Berater verpflichtet, das Thema Nachhaltigkeit in ihre Beratungen einzubeziehen, und für Vermittler und Berater nach Paragraf 34f und 34h der deutschen Gewerbeordnung gilt diese Pflicht seit dem 20. April 2023.
Die Frage, ob und in welchem Umfang dieser Plan der EU-Kommission erfolgreich ist, hängt von der Perspektive ab. Aus Sicht der EU stellen die Verordnungen einen bedeutenden Schritt in die richtige Richtung dar. Allerdings sind Anlageberater in ihrer täglichen Praxis weniger euphorisch und äußern eher Kommentare wie „praxisfern“ und „lästig“. Dies führt dazu, dass die Einbindung von Nachhaltigkeitsaspekten in Beratungsgesprächen weniger fokussiert erfolgt. Kann daher der Erfolg der EU-Vorgaben in der Praxis als gescheitert betrachtet werden?
Ist die Vorgabe der Nachhaltigkeitsabfrage in der Praxis gescheitert?
Die Antwort darauf ist komplex. Wenn man die strengen Vorgaben der EU zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen genau betrachtet und deren Umsetzung bis heute beurteilt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass dies der Fall ist. Dennoch lässt sich bei einer umfassenderen Betrachtung sagen, dass zumindest Fortschritte auf dem Weg zur Zielerreichung erkennbar sind. Dies mag paradox erscheinen, aber es resultiert aus der Diskrepanz zwischen den EU-Vorgaben und ihrer tatsächlichen Umsetzung in der Praxis.
Gemäß den EU-Vorgaben sollen Finanzberater ihren Kunden im Rahmen der Geeignetheitsprüfung drei verschiedene Konzepte von Nachhaltigkeit erklären.
Dies kann anhand
- der Taxonomie-Verordnung
- der Offenlegungsverordnung
- der Betrachtung von sogenannten PAIs (Principle Adverse Impact)
erfolgen. Kunden sollen dann jeweils einen Prozentsatz festlegen, mit dem jeder dieser Ansätze in ihrem Portfolio vertreten sein soll. In der Praxis erweist sich jedoch die Umsetzung dieser Vorgaben oft als herausfordernd. In vielen Fällen umgehen Anlageberater diesen Prozess, ohne dass dies Konsequenzen für sie hat. Wenn Kunden angeben, auf nachhaltige Geldanlagen verzichten zu wollen, können Berater dies im Protokoll vermerken und das Thema überspringen.
Wie sehen Anleger die Abfrage ihrer Nachhaltigkeitspräferenzen?
Die Frage nach dem Interesse der Finanzkunden an nachhaltigen Anlagen lässt sich nicht eindeutig beantworten. Es steht jedoch fest, dass Menschen heute das Thema sensibler wahrnehmen als noch vor einigen Jahren. Nachhaltigkeit in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz, aber auch Menschenrechte und Arbeitsbedingungen, ist in aller Munde. Trotzdem gibt es in der Vertriebsbranche unterschiedliche Meinungen darüber, wie sehr sich Finanzkunden für das Thema interessieren. Eines ist jedoch weitgehend anerkannt: Die Abfrage nach Nachhaltigkeitspräferenzen schreckt sie eher ab.
Denn selbst wenn Kunden formell auf nachhaltige Geldanlagen verzichten, können sie im Nachgang dennoch in Fonds investieren, die ihren eigenen Maßstäben entsprechen – wenn auch nicht unbedingt im Sinne des EU-Gesetzgebers. Ein Vorteil besteht darin, dass Berater ihren Kunden dann Fonds empfehlen können, mit denen sie selbst gute Erfahrungen gemacht haben.
Zusammenfassung und Fazit – Abfrage Nachhaltigkeitspräferenzen
Eine eingehendere Analyse dieser Thematik verdeutlicht die Herausforderungen, denen sich Anlageberater und Finanzvertriebe gegenübersehen. Die Pflicht zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Beratung stellt nicht nur eine rechtliche Anforderung dar, sondern auch eine, die in der täglichen Praxis mitunter als hinderlich empfunden wird. Die verschiedenen Konzepte von Nachhaltigkeit, wie sie von der EU vorgeschrieben sind, erfordern von Finanzberatern nicht nur ein tiefes Verständnis, sondern auch die Fähigkeit, diese Konzepte verständlich und kundenorientiert zu vermitteln. Die Herausforderung besteht darin, die Balance zwischen den gesetzlichen Vorgaben und den individuellen Bedürfnissen der Kunden zu finden.
Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Einstellung und Praxis der Finanzbranche im Laufe der Zeit entwickeln werden. Die stets im Raum stehende Frage nach dem Erfolg der EU-Vorschriften wird somit zu einem fortlaufenden Dialog zwischen Gesetzgebern, Finanzberatern und Kunden führen müssen, der darauf abzielt, eine ausgewogene und nachhaltige Finanzberatung zu fördern.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.