In der heutigen Finanzwelt gewinnt ein Konzept des Aktionärsengagement zunehmend an Bedeutung: Kapital kann nicht nur Rendite generieren, sondern auch als Hebel für positive Veränderungen dienen. Der kürzlich veröffentlichte Shareholders for Change (SfC) 2024 Engagement-Bericht belegt eindrucksvoll, wie gebündeltes Anlagekapital Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit bewegen kann. Die 20 Mitglieder dieses Netzwerks, die zusammen ein Vermögen von 48 Milliarden Euro verwalten, haben im vergangenen Jahr mit 172 Unternehmen und einer Institution interagiert. Für Anleger eröffnet sich damit eine interessante Perspektive: Investitionen können nicht nur finanziellen Ertrag bringen, sondern auch gesellschaftliche und ökologische Rendite abwerfen.
Das Shareholders for Change-Netzwerk: Wegbereiter für wirksames Anlegerengagement
Das SfC-Netzwerk, gegründet im Dezember 2017 in Mailand, vereint institutionelle Investoren mit einer klaren Vision. Die Gründungsmitglieder repräsentieren die Vielfalt im nachhaltigen Finanzsektor:
- Die Bank für Kirche und Caritas eG aus Deutschland mit ihrer langjährigen Expertise in ethisch-nachhaltigen Anlagestrategien,
- Ecofi Investissements aus Frankreich als spezialisierter Vermögensverwalter für nachhaltige Finanzprodukte
- Etica Sgr aus Italien als einzige italienische Vermögensverwaltungsgesellschaft mit exklusivem Fokus auf nachhaltige Investmentfonds.
Die Banca Etica-Gruppe, seit Jahren Vorreiterin für ethische Finanzpraktiken, initiierte die Gründung dieses Netzwerks mit einer klaren Überzeugung: Anleger können durch koordiniertes Handeln signifikante Veränderungen in Unternehmen bewirken – eben jenem Aktionärsengagement. Das Netzwerk fokussiert sich dabei auf für Anleger besonders relevante Zukunftsthemen: Klimawandel und Energiewende, Arbeits- und Menschenrechte sowie Steuergerechtigkeit bei multinationalen Konzernen – allesamt Faktoren, die langfristig auch finanzielle Risiken für Portfolios darstellen können.
Aktionärsengagement: Konkrete Erfolge für Anleger
Für Investoren ist entscheidend, wie Aktionärsengagement in der Praxis funktioniert und welche Resultate erzielt werden können. Die Mitglieder des SfC-Netzwerks setzen auf einen Instrumentenmix: das Einreichen von Aktionärsanträgen, koordiniertes Abstimmverhalten auf Hauptversammlungen und direkte Dialoge mit Unternehmensführungen.
Die Erfolge dieser Strategie sind bemerkenswert: Bei einem großen europäischen Energieversorger führte der Druck von SfC zu konkreten Emissionsreduktionszielen – das Unternehmen verpflichtete sich, seine Scope-3-Emissionen bis 2030 um 30 Prozent zu senken. Für Anleger bedeutet dies eine Reduzierung von Klimarisiken im Portfolio und eine bessere Positionierung des Unternehmens für künftige regulatorische Anforderungen.
In der Textilindustrie konnten durch gezielte Gespräche mit einem global tätigen Modekonzern verbesserte Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben in Bangladesch erreicht werden. Die daraus resultierende Erhöhung der Sicherheitsstandards mindert nicht nur soziale Risiken, sondern senkt auch die Gefahr von Reputationsschäden und damit verbundenen Kurseinbrüchen.
Im Bereich der Plastikverschmutzung gelang es, einen großen Konsumgüterhersteller zu konkreten Maßnahmen zur Reduzierung von Einwegplastik zu bewegen. Mit der Ankündigung, den Anteil recycelbarer Verpackungen bis 2026 auf 80 Prozent zu steigern, positioniert sich das Unternehmen zukunftsfähiger in einem zunehmend umweltbewussten Marktumfeld.
Die Erfolgsquote des Engagements spricht für sich: In 63 Prozent der Fälle zeigten sich Unternehmen kooperativ und verpflichteten sich zu konkreten Maßnahmen oder erhöhter Transparenz – ein deutliches Signal für Anleger, dass Aktionärsengagement wirksam sein kann.
Der Investment-Fokus auf „orphan issues“: Chancen für vorausschauende Anleger
Ein besonderes Merkmal des SfC-Netzwerks, das für strategisch denkende Investoren von Interesse sein dürfte, ist der Fokus auf sogenannte „orphan issues“ – vernachlässigte Themen, die in konventionellen ESG-Ratings oft untergehen, aber signifikante langfristige Risiken oder Chancen darstellen können.
Das Engagement gegen Energiearmut in Südeuropa illustriert diesen Ansatz: SfC initiierte Gespräche mit Energieversorgern in Spanien zur Förderung transparenter und sozial gerechter Preisgestaltung für einkommensschwache Haushalte. Das Ergebnis war die Einführung eines Sozialtarifs durch ein Energieunternehmen, der 10.000 Haushalten zugutekommt. Für Anleger bedeutet dies eine Verbesserung des sozialen Profils ihrer Investition und eine Minderung regulatorischer Risiken in einem zunehmend auf soziale Gerechtigkeit ausgerichteten politischen Umfeld.
Ein weiteres Beispiel betrifft Investitionen in Nuklearwaffen – ein Thema, das aufgrund zunehmender geopolitischer Spannungen für Anleger relevanter wird. SfC-Mitglieder führten Dialoge mit französischen Finanzinstitutionen, um den Ausstieg aus der Finanzierung der Nuklearwaffenindustrie zu fördern. Drei große Banken kündigten daraufhin an, bestehende Finanzierungsprojekte in diesem kontroversen Sektor auslaufen zu lassen – ein wichtiger Schritt zur Risikominimierung in Anlegerportfolios.
Anleger-Netzwerke: Alternative Plattformen für wirkungsorientiertes Investieren
Neben dem SfC-Netzwerk existieren weitere Initiativen, die für Anleger mit Interesse an wirkungsorientiertem Investieren relevant sind. Die Net-Zero Asset Owner Alliance vereint institutionelle Investoren mit dem ambitionierten Ziel, ihre Portfolios bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen auszurichten. Ein prominentes Beispiel für den Erfolg dieser Initiative ist die Einflussnahme eines großen Pensionsfonds auf einen führenden Stahlproduzenten, der daraufhin einen konkreten De-Karbonisierungs-Fahrplan veröffentlichte – ein wesentlicher Schritt zur Minderung von Klimarisiken im Anlageportfolio.
Die Principles for Responsible Investment (PRI) bieten eine etablierte Plattform für Investoren zur Entwicklung und Implementierung von ESG-Investitionsstrategien. Mit über 5.000 angeschlossenen Organisationen weltweit repräsentieren die PRI einen wachsenden Konsens unter Anlegern, dass ESG-Faktoren integraler Bestandteil einer soliden Investmentanalyse sein sollten.
Für deutschsprachige Anleger bietet das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) wertvolle Unterstützung bei der Identifikation nachhaltiger Anlageoptionen. Durch Zertifizierungen, Fachveranstaltungen und Bildungsangebote erleichtert das FNG den Zugang zu fundierten Informationen über die Wirkung von Investitionen – ein entscheidender Faktor für informierte Anlageentscheidungen.
Stimmrechtsausübung: Ein unterschätztes Instrument der Wertschöpfung
Ein besonders wirkungsvolles Instrument für Anleger ist die strategische Nutzung von Stimmrechten auf Hauptversammlungen. SfC-Mitglieder demonstrieren, wie koordiniertes Abstimmungsverhalten Unternehmen zu mehr Transparenz und Nachhaltigkeit bewegen kann. Bei einem globalen Technologiekonzern führte diese Strategie zur Veröffentlichung eines umfassenden Nachhaltigkeitsberichts mit bisher nicht zugänglichen Daten zu Rohstoffquellen – ein wichtiger Schritt zur besseren Risikobewertung für Anleger.
Ugo Biggeri, Präsident von SfC, unterstreicht die strategische Ausrichtung des Netzwerks: „Unser Netzwerk bleibt agil, unbürokratisch und auf wirkungsvolle Engagements fokussiert. Wir sind bereit, unsere Engagements bei Bedarf zu eskalieren, um die notwendigen Veränderungen zu erreichen.“ Diese Eskalationsbereitschaft, sei es durch öffentliche Stellungnahmen, koordinierte Abstimmungen oder mediale Präsenz, verstärkt die Verhandlungsposition von Anlegern gegenüber Unternehmen erheblich.
Anlagestrategien mit Wirkung: Praktische Umsetzung
Die Erfolge des SfC-Netzwerks und ähnlicher Initiativen eröffnen auch für Privatanleger und kleinere institutionelle Investoren neue Perspektiven. Wer an wirkungsorientiertem Investieren interessiert ist, kann verschiedene Ansätze verfolgen: Investitionen in Fonds, die aktives Aktionärsengagement betreiben, direkte Beteiligung an Unternehmen mit fortschrittlichen ESG-Praktiken oder die Unterstützung von Netzwerken und Plattformen, die kollektives Engagement ermöglichen.
Die thematische Bandbreite – von Klimaschutz über Arbeitsstandards bis zu Steuerverantwortung – verdeutlicht, dass nachhaltiges Investieren kein eindimensionales Konzept ist, sondern vielfältige Möglichkeiten bietet, Anlagestrategien nach individuellen Wertvorstellungen und Risikoeinschätzungen zu gestalten. Anleger können sich auf spezifische ESG-Faktoren konzentrieren, die ihrer Analyse nach besonders relevante finanzielle Implikationen haben, und so ihr Portfolio optimieren.
Ausblick: Die Zukunft des wirkungsorientierten Investierens
Der Shareholders for Change 2024 Engagement-Bericht verdeutlicht, dass nachhaltige Geldanlagen sich zunehmend als Mainstream-Anlagestrategie etablieren. Die dokumentierten Erfolge – von konkreten Emissionsreduktionszielen über verbesserte Arbeitsbedingungen bis hin zu transparenteren Lieferketten – zeigen, dass Anleger durch koordiniertes Engagement tatsächlich Veränderungen bewirken können, die nicht nur ethischen Werten entsprechen, sondern auch finanzielle Risiken reduzieren und langfristige Wertsteigerungspotenziale erschließen.
Die wachsende Bedeutung regulatorischer Rahmenbedingungen wie die EU-Taxonomie und die Offenlegungsverordnung verstärkt diesen Trend zusätzlich. Anleger, die frühzeitig auf nachhaltige Strategien setzen, können sich Wettbewerbsvorteile sichern und ihr Portfolio gegen künftige regulatorische Risiken absichern.
Darüber hinaus deutet die zunehmende Korrelation zwischen ESG-Performance und finanzieller Performance darauf hin, dass nachhaltiges Investieren nicht mit Renditeeinbußen verbunden sein muss – im Gegenteil: Unternehmen mit fortschrittlichen Nachhaltigkeitspraktiken erweisen sich oft als widerstandsfähiger gegenüber Marktschocks und langfristig erfolgreicher.
Für zukunftsorientierte Anleger bietet das aktive Engagement in Nachhaltigkeitsfragen daher nicht nur die Möglichkeit, positive gesellschaftliche und ökologische Wirkung zu erzielen, sondern auch eine vielversprechende Strategie zur Optimierung des Risiko-Rendite-Profils ihrer Portfolios. Die Zeit, in der nachhaltiges Investieren als Nischenphänomen betrachtet wurde, ist eindeutig vorbei – es entwickelt sich vielmehr zu einem Standard für vorausschauendes und verantwortungsvolles Anlagemanagement.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.