Bekannte Regel der Wirtschaft: Die Nachfrage regelt das Angebot. Was sich so auch auf das Thema der nachhaltigen Geldanlagen übertragen lässt. Denn seit Jahren steigt die Nachfrage nach entsprechend „grünen“ Investments kontinuierlich, was wiederum zur Folge hat, dass Anleger mittlerweile aus einer enormen Vielzahl an „grünen“ Fonds auswählen. Nur: Was gilt eigentlich als „grün“? Die Frage ist an dieser Stelle durchaus berechtigt, denn die Begrifflichkeit „grün“ und / oder „nachhaltig bietet nach derzeitiger Rechtslage durchaus eine recht breiten Interpretationsspielraum. Das zeigt eine Analyse von Daten der London Stock Exchange Group (LSEG) von Voxeuropund European Investigative Collaborations.
Investitionsvolumen von 18 Milliarden Dollar in nachhaltige Fonds
EU-regulierte grüne Fonds, wie etwa der „DWS Invest Qi Global Climate Action“ von DWS, investierten im vergangenen Jahr mehr als 87 Milliarden US-Dollar in Unternehmen, die in den acht untersuchten Branchen weltweit die größten Treibhausgasemissionen verursachen. Davon hielten als nachhaltig klassifizierte Fonds über 18 Milliarden US-Dollar in diesen Unternehmen.
Die Voxeurop-Analyse identifizierte die 25 größten Treibhausgasemittenten aus acht kohlenstoffintensiven Wirtschaftssektoren: der Gewinnung und Raffinierung fossiler Brennstoffe (Öl, Gas und Kohle), der Agrarindustrie, der Automobilindustrie, der Luft- und Schifffahrt, der Stahlproduktion sowie der Modebranche – insgesamt 200 Unternehmen. Diese 200 Unternehmen sind im Durchschnitt für 77 Prozent der Emissionen aller börsennotierten Unternehmen in ihrem jeweiligen Sektor verantwortlich. Die Emissionsdaten basieren auf Unternehmensberichten oder Schätzungen von LSEG Data & Analytics. Von den investierten 87 Milliarden US-Dollar flossen etwa 33 Milliarden in die Öl- und Gasbranche, 21,5 Milliarden in die Automobilindustrie und 15 Milliarden in die Modebranche.
Milliarden von Dollar Investitionsvolumen in die größten Verursacher von Co2 Emissionen
Mehr als die Hälfte der Investitionen flossen an die zehn größten Verursacher von Kohlenstoffemissionen in ihren Branchen. Zu diesen gehören führende Öl- und Gasunternehmen wie TotalEnergies (Frankreich), Shell (Vereinigtes Königreich) und Equinor (Norwegen), Automobilriesen wie Stellantis (Niederlande), Mercedes-Benz (Deutschland), Toyota Motor (Japan) und Michelin (Frankreich), sowie Modegiganten wie Industria de Diseño Textil Inditex, Eigentümerin von Zara (Spanien), und TJX, eine der größten multinationalen Kaufhausgruppen (USA). Auch Airbus (Frankreich) zählt zu den großen Emittenten.
Laut der Recherche haben mindestens 738 Finanzinstitute weltweit in kohlenstoffintensive Unternehmen investiert, obwohl ihre Fonds als EU-konform und grün vermarktet werden. Diese Institute sind überwiegend in Frankreich, Deutschland und Italien ansässig, finden sich aber auch im Vereinigten Königreich, den USA und Hongkong.
Greenwashing nach wie vor eines der größten Problem in der Finanzindustrie
Mit Blick auf diese Daten darf man sich also schon die Frage stellen, ab wann eine Investition eigentlich nachhaltig ist? Die bittere Tatsache ist, dass diese Begrifflichkeit von der EU, Banken, Unternehmen und Verbraucher durchaus unterschiedlich ausgelegt wird. Womit sich eben auch die Erkenntnis ergibt, dass es erhebliche Unterschiede bei der Schwelle zum Greenwashing gibt. Wie schnell ist also der Vorwurf des Greenwashing gerechtfertigt? Jenem Versuch, sich durch Marketing-Strategien ein grünes oder nachhaltiges Image zu geben?
DWS – das Musterbeispiel für „Greenwashing“ bei nachhaltigen Fonds
Nehmen wir hierzu abermals das wohl derzeit bekannteste Beispiel zu diesem Punkt:
Die DWS, Fondsgesellschaft der Deutschen Bank, bewarb ihren Fonds „DWS Invest ESG Climate Tech“ mit der Behauptung, Anleger würden kein Kapital in Kohle- oder Rüstungsunternehmen investieren. Tatsächlich durften die im Fonds enthaltenen Unternehmen bis zu 14,99 Prozent ihres Umsatzes aus der Kohleindustrie generieren. Diese Täuschung führte dazu, dass die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg 2022 Klage gegen die DWS einreichte. Um einem Gerichtsverfahren zu entgehen, verpflichtete sich die DWS, solche irreführenden Werbeaussagen künftig zu unterlassen.
Gleichzeitig sieht sich die DWS strafrechtlichen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Greenwashing gegenüber. Im Januar 2024 durchsuchten die Frankfurter Staatsanwaltschaft und das Bundeskriminalamt die Geschäftsräume des Unternehmens. Bereits im September 2023 hatte die US-Börsenaufsicht SEC die DWS zu einer Strafe von 25 Millionen US-Dollar verurteilt. Auslöser dieser Maßnahmen war die ehemalige Nachhaltigkeitschefin der DWS, Desiree Fixler, die dem Unternehmen Greenwashing vorwarf.
Trotz dieser Vorwürfe bleibt die DWS, mit einem verwalteten Vermögen von 941 Milliarden Euro (Stand: 31. März 2024), einer der weltweit führenden Vermögensverwalter. Laut einer Analyse von Voxeurop ist sie zudem die Fondsgesellschaft, die am meisten Kapital in besonders klimaschädliche Unternehmen investiert. So hielt die DWS Investment GmbH knapp 5 Milliarden US-Dollar in den 200 Unternehmen, die in ihren Branchen die größten Treibhausgasemissionen verursachen, darunter rund 650.000 US-Dollar in sogenannten ESG-Fonds.
Nachhaltige Fonds: trotz SFRD Regelungen ist Missbrauch gang und gäbe
Das Beispiel der DWS verdeutlicht ein zentrales Problem: die unzureichende Kontrolle nachhaltiger Finanzprodukte. Trotz EU-Regulierungen bleibt die Transparenz oft hinter den Erwartungen zurück. Nachhaltige Fonds sind zwar verpflichtet, Informationen über ihre Investitionen offenzulegen, doch wie „nachhaltig“ diese wirklich sind, bleibt fraglich. Laut dem Deutschen Fondsverband verwalten diese Fonds aktuell fast eine Billion Euro – und das Volumen wächst stetig.
Ein Sprecher der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (Esma) betonte gegenüber Voxeurop: „Die SFDR ist ein verbindlicher Rahmen für Offenlegungen und kein freiwilliges Label. Sie darf nicht für Marketingzwecke missbraucht werden.“
Doch was bedeutet „nachhaltig“ tatsächlich? Wird suggeriert, dass Unternehmen bereits nachhaltig wirtschaften, oder sollen Investitionen diesen Wandel fördern? Seit 2021 verlangen die Artikel 8 und 9 der europäischen Offenlegungsverordnung, dass Fondsanbieter die ökologischen und sozialen Ziele ihrer Investitionen offenlegen.
Dabei unterscheidet die Verordnung zwischen zwei Kategorien: Artikel 8 deckt Fonds ab, die ökologische oder soziale Merkmale aufweisen, während Artikel 9 für wirklich nachhaltige Investitionen steht – ohne klare Definitionen, was dies bedeutet. Eine Voxeurop-Analyse zeigt, dass Artikel-9-Fonds nur einen geringen Teil des Marktes ausmachen – etwa zwei Milliarden von insgesamt 87 Milliarden US-Dollar. Dies liegt auch daran, dass viele Vermögensverwalter ihre Fonds 2022 herabgestuft haben, nachdem die EU-Kommission strengere Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung eingeführt hatte.
Nachhaltigkeits-Etikett für Klimasünder? Kein Problem, alles nur Definitionssache
Das lässt Spielraum, den Fondsgesellschaften ausnutzen. Ein Fonds darf sich bereits als nachhaltig bezeichnen, wenn die Unternehmen in seinem Portfolio nur geringfügig umweltfreundlicher sind als der Aktienmarkt insgesamt – oder auch gar nicht, solange sie besser auf den Klimawandel vorbereitet, sind als die Konkurrenz. Nachhaltigkeit umfasst zudem nicht nur das Klima: Auch der Schutz der Artenvielfalt, Ressourcenschonung, Müllvermeidung und soziale Kriterien zählen zu den sogenannten ESG-Standards. Diese sollen Investoren mehr Transparenz bieten, doch verbindliche Standards schaffen sie nicht.
Das Beispiel der DWS zeigt, wie dies in der Praxis aussieht: Trotz der ESG-Kennzeichnung investiert die DWS in besonders klimaschädliche Unternehmen, wie eine Analyse von Voxeurop offenlegt. Die DWS filtert nach eigenen Angaben Unternehmen für ihre Artikel-8-SFDR-Fonds nach bestimmten Umsatzschwellen. Unternehmen mit Kohleexpansionsplänen werden gemäß ihrer Kohle-Richtlinie ausgeschlossen. Doch Firmen, die Kohle und Erdöl fördern, bleiben im Portfolio, solange die Umsätze aus diesen Quellen unter 10 Prozent liegen. Kann das als nachhaltig gelten? Selbst ohne strengste Maßstäbe lässt sich diese Frage klar mit „Nein“ beantworten. Oder?
Wesentliches Problem liegt in nicht einheitlichen Rating-Standards
Woraus sich schließen lässt, dass die Verantwortung letztendlich beim Anleger selbst verbleibt. Vorausgesetzt er ist sich der Problematik bewusst und gewillt, sich entsprechend zu informieren ergo „schlau“ zu machen. Wobei es hier sogar seitens der DWS einen entsprechenden „Fun Fact“ gibt, denn sie empfiehlt Anlegern, sich über die im Fonds enthaltenen Unternehmen schlau zu machen.
Für Anleger gilt an dieser Stelle, die klare Erkenntnis, dass, um die Nachhaltigkeit von Unternehmen zu bewerten, Produktanbieter, Vermögensverwalter, institutionelle Investoren sowie Siegelanbieter auf ESG-Ratings zurückgreifen. Deren Einschätzungen fallen aber unterschiedlich aus. Die Gründe für die Abweichungen sind, dass Messung, Anwendung und Gewichtung von Nachhaltigkeitskriterien nicht einheitlich geschehen.
Für die Bewertungen griffen Agenturen zudem auf unterschiedliche Daten zurück: einige auf öffentliche, andere auf zusätzliche von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), auf Medien und Unternehmensberichte.
Finanzhäuser stehen in der Verantwortung auf Firmen in Bezug auf Nachhaltigkeit einzuwirken
Die Verantwortung für nachhaltige Geldanlagen allein auf die Anleger abzuwälzen, ist unzureichend. Die EU strebt bis 2050 Klimaneutralität an, wofür auch privates Kapital eine Schlüsselrolle spielt. Fonds können hier entscheidend auf die Wirtschaft einwirken. Initiativen wie die Net Zero Asset Managers wurden von Vermögensverwaltern ins Leben gerufen, um diesen Wandel zu fördern. Laut Fidelity International ist der effektivste Weg, Unternehmen zu beeinflussen, durch Engagement, nicht durch Ausgrenzung. Viele Kleinanleger unterstützen offenbar die ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele der Fonds, indem sie verstärkt in erneuerbare Energien investieren und Unternehmen meiden, die signifikant zum Klimawandel beitragen. Eine Umfrage von Globescan in Zusammenarbeit mit Influencemap ergab zudem, dass sich die Befragten mehr Informationen zu ESG-Kriterien wünschen.
Problematisch für Kontrollorgane Verstöße gegen Nachhaltigkeits-Vorgaben und Greenwashing zu erkennen
An diesem Punkt schließt sich der Kreis: Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hat herausgefunden, dass mangelndes Wissen, die Sorge vor Greenwashing und fehlende Transparenz viele Anleger von nachhaltigen Investments abschrecken. Besonders ernüchternd ist dabei die Erkenntnis, dass Greenwashing-Skandale trotz großer medialer Aufmerksamkeit laut der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA bisher keine finanziellen Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen und Fondsgesellschaften hatten. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass ein solches Fehlverhalten in den EU-Mitgliedstaaten weitgehend ungestraft bleibt.
In einem Bericht vom Juni 2024 erklärte die ESMA, dass nationale Behörden Schwierigkeiten haben, Verstöße zu erkennen und keine Fälle an die Strafverfolgung weitergeleitet wurden. Um dem entgegenzuwirken, hat die ESMA im Mai 2024 neue Leitlinien für umweltbezogene Begriffe in Fondsnamen verabschiedet. Diese sehen vor, dass mindestens 80 Prozent des Fondsvermögens nachhaltig sein müssen, wenn Begriffe wie „ESG“ oder „grün“ im Namen verwendet werden. Fondsgesellschaften haben bereits begonnen, ihre Produkte an diesen Vorgaben auszurichten.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.