Die Klimakrise ist längst nicht mehr nur eine politische oder wissenschaftliche Herausforderung – sie wird zunehmend auch zu einer rechtlichen Frage. Unternehmen, die hohe Mengen an CO₂ ausstoßen, könnten künftig für die Folgen des Klimawandels haftbar gemacht werden. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Hamm stellt einen bedeutenden Schritt in diese Richtung dar und könnte weltweit als Präzedenzfall für weitere Klagen dienen. Die Entscheidung betrifft den deutschen Energiekonzern RWE und eine Klage eines peruanischen Bauern, der argumentiert, dass die CO₂-Emissionen von RWE zur Gletscherschmelze in den Anden beitragen und somit sein Dorf bedrohen.
Dieses Verfahren könnte eine neue Ära in der Klimarechtsprechung einläuten – mit potenziellen Auswirkungen auf Unternehmen, Investoren und die gesamte Wirtschaft.
Der Fall: Ein peruanischer Bauer gegen RWE
Der Kläger Saúl Luciano Lliuya, ein Bergführer und Landwirt aus Peru, lebt in der Stadt Huaraz, die in den Anden liegt. Durch die Erderwärmung schmelzen die Gletscher zunehmend, wodurch die Gefahr einer Flutwelle steigt, die seine Heimat zerstören könnte.
Er argumentierte vor Gericht, dass RWE einer der größten CO₂-Emittenten Europas sei und durch seine hohen Emissionen indirekt zur Gletscherschmelze beitrage. Daher sollte RWE anteilig für Maßnahmen zum Schutz der Stadt gegen eine mögliche Flut aufkommen.
Die Klage wurde bereits 2015 mit Unterstützung der Umweltorganisation Germanwatch eingereicht. Der Kläger forderte, dass RWE 0,47 % der Kosten für Schutzmaßnahmen übernehmen solle – entsprechend dem Anteil des Unternehmens an den globalen CO₂-Emissionen.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Oberlandesgericht Hamm erkannte grundsätzlich an, dass Unternehmen für die Folgen des Klimawandels haftbar gemacht werden könnten. Auch wenn der konkrete Fall noch nicht zu einer direkten Haftung für RWE führte, könnte das Urteil als wichtiger Meilenstein für zukünftige Klimaklagen gelten. In der Urteilsbegründung wird festgehalten, dass die kausale Verbindung zwischen CO₂-Emissionen eines Unternehmens und konkreten Klimaschäden geprüft werden kann – eine rechtliche Perspektive, die bislang kaum Anwendung fand.
Das Gericht entschied jedoch, dass das individuelle Risiko einer Gletscherflut nicht hoch genug sei, um eine direkte Haftung von RWE zu begründen. Dennoch bleibt das Urteil ein Teilerfolg für Klimaklagen, da es die Möglichkeit eröffnet, Unternehmen für ihre Rolle in der Klimakrise rechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Ein Präzedenzfall für weitere Klagen?
Das Urteil könnte eine neue Tür für Klimaaktivisten, betroffene Gemeinden und Umweltorganisationen öffnen, die große Emittenten zur Verantwortung ziehen möchten. Mehrere Prozesse dieser Art laufen bereits in anderen Ländern, und dieses Urteil könnte ihre Erfolgschancen deutlich verbessern.
Potenzielle Entwicklungen könnten sein:
- Mehr Klagen gegen Energie-, Industrie- und Ölkonzerne, die hohe Emissionen verursachen.
- Neue rechtliche Standards, die Unternehmen verpflichten, präventive Maßnahmen gegen Klimaschäden zu ergreifen.
- Veränderte Investorenstrategien, da nachhaltige Anlagen stärker in den Fokus rücken und CO₂-intensive Unternehmen rechtlichen Risiken ausgesetzt sind.
Die Auswirkungen könnten besonders für Unternehmen sein, die bislang wenig Maßnahmen zur Reduzierung ihres CO₂-Ausstoßes umgesetzt haben. Für nachhaltig ausgerichtete Fonds und Investoren könnte das Urteil eine stärkere Betonung auf klimafreundliche Geschäftspraktiken bedeuten.
Auswirkungen auf nachhaltige Geldanlagen: Neue Risiken und Chancen für Investoren
Dieses Urteil könnte die Landschaft nachhaltiger Geldanlagen maßgeblich verändern. Anleger mit einem Fokus auf klimafreundliche Investments müssen nun verstärkt prüfen, ob Unternehmen in ihren Portfolios nicht nur nachhaltige Strategien verfolgen, sondern auch rechtlich abgesichert sind.
Große CO₂-Emittenten könnten künftig verstärkt Klagen ausgesetzt sein, was finanzielle Risiken für Investoren birgt. Gleichzeitig könnte das Urteil Unternehmen dazu zwingen, ihre Klimastrategien zu überarbeiten, was zu neuen Chancen für nachhaltige Investments führen könnte.
Anleger, die frühzeitig auf klimafreundliche Branchen wie erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft und emissionsarme Technologien setzen, könnten von einer Umverteilung der Kapitalströme profitieren.
Fazit: Wandel in der globalen Klimapolitik
Dieses Urteil könnte die Unternehmenswelt nachhaltig verändern. Während Klimapolitik bislang von staatlichen Regulierungen bestimmt wurde, könnte die gerichtliche Verantwortung von Unternehmen nun eine zusätzliche Dimension der Klimakrise schaffen.
Für Unternehmen bedeutet dies wachsenden Druck, nachhaltige Strategien zu entwickeln und ihre Emissionen aktiv zu reduzieren. Anleger sollten sich darauf einstellen, dass Unternehmen, die ihre Klimastrategie vernachlässigen, künftig mit rechtlichen und finanziellen Konsequenzen rechnen müssen. Dieses Urteil zeigt: Klimaschutz ist nicht mehr nur eine Frage der Moral oder Umweltpolitik – er wird zunehmend zur juristischen Verpflichtung.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.