Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) hat im Juli 2025 mit den neuen EBA-Leitlinien einen entscheidenden Schritt zur Bekämpfung von Greenwashing im Bankensektor eingeleitet. Mit der öffentlichen Konsultation zu überarbeiteten Leitlinien für Produktaufsicht und -steuerung (Product Oversight and Governance, POG) bei ESG-Produkten reagiert die Behörde auf die rasant wachsende Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten und die damit einhergehenden Risiken irreführender Umweltversprechen.
Regulatorischer Handlungsdruck in einem boomenden Markt
Der Markt für nachhaltige Finanzprodukte erlebt ein beispielloses Wachstum. Aktuelle Marktdaten zeigen, dass der ESG-Investmentmarkt bereits 2025 ein Volumen von 35,48 Billionen US-Dollar erreicht hat und bis 2034 auf 167,49 Billionen US-Dollar anwachsen könnte – eine jährliche Wachstumsrate von 18,82 Prozent. In Europa, dem führenden ESG-Markt, werden bis 2030 über 18 Billionen US-Dollar an Vermögenswerten unter ESG-Kriterien verwaltet.
Doch diese beeindruckenden Zahlen bergen auch Risiken. Eine europäische Studie offenbarte, dass fast die Hälfte (46,3 Prozent) der als „dark green“ beworbenen Fonds tatsächlich in fossile oder luftfahrtbezogene Unternehmen investieren. Gleichzeitig ergab eine globale Analyse, dass lediglich 0,5 Prozent der weltweit verwalteten Vermögenswerte tatsächlich mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar sind.
Rechtlicher Rahmen und Mandat der EBA-Initiative
Die EBA handelt auf Grundlage von Artikel 16 der Verordnung (EU) 1093/2010, die sie zur Entwicklung von Leitlinien für die Produktaufsicht und -steuerung bei Privatkundenprodukten ermächtigt. Die am 9. Juli 2025 gestartete Konsultation zielt darauf ab, gezielt ESG-spezifische Anforderungen in die bestehenden POG-Leitlinien zu integrieren. Diese Maßnahme wurde durch jüngste Änderungen der Eigenkapitalrichtlinie (CRD) und der Eigenkapitalverordnung (CRR) bezüglich ESG-Risiken notwendig.
Die Konsultation verfolgt einen gezielten Ansatz und passt nur eine begrenzte Anzahl bestehender Anforderungen in den POG-Leitlinien an. Dadurch soll vermieden werden, dass Finanzinstitute mit unnötiger Bürokratie belastet werden, während gleichzeitig die höchsten Standards der Geschäftspraktiken bei ESG-Produkten sichergestellt werden.
Präzise Definitionen für mehr Klarheit
Ein zentraler Baustein der neuen Leitlinien ist die klare Definition von „ESG-Produkten“. Diese umfassen alle Finanzprodukte, die ganz oder teilweise ökologische, soziale oder Governance-Ziele verfolgen. Die EBA etabliert dabei eine Abgrenzungsskala von „Light Green“ bis „Dark Green“, die von Produkten mit Teilzielen (wie dem Engagement in Nachhaltigkeitsthemen) bis hin zu solchen reicht, die zentral auf nachhaltige Investitionsziele ausgerichtet sind.
Die betroffenen Produktkategorien umfassen ein breites Spektrum: Investmentfonds, Zertifikate und strukturierte Produkte mit Nachhaltigkeitslabel, Kredite und Kontomodelle mit Umweltkomponente (etwa CO₂-reduzierende Konditionen) sowie versicherungsgebundene Anlageprodukte mit ESG-Fokus. Diese umfassende Abdeckung reflektiert die Vielfalt des modernen nachhaltigen Bankings, wo 67 Prozent der Verbraucher von ihren Banken umweltfreundlichere Initiativen erwarten.
Governance-Anforderungen: ESG im Vorstand verankern
Die überarbeiteten Leitlinien fordern eine fundamentale Veränderung in der strategischen Ausrichtung der Banken. Auf der Vorstandsebene müssen ESG-Verantwortlichkeiten klar definiert und ein zentraler ESG- oder Nachhaltigkeitsausschuss eingerichtet werden. Besonders wichtig ist die Stärkung der Unabhängigkeit von Risikomanagement- und Compliance-Funktionen, um interessensbedingte Verzerrungen bei der Bewertung nachhaltiger Produkte zu vermeiden.
Diese strukturellen Anforderungen spiegeln eine breitere Entwicklung wider: 72 Prozent der Führungskräfte betrachten ESG mittlerweile als Umsatztreiber und nicht als Kostenfaktor. Gleichzeitig haben 90 Prozent der S&P 500-Unternehmen im Jahr 2024 ESG-Berichte veröffentlicht, was das wachsende Bewusstsein für Transparenz und Verantwortlichkeit unterstreicht.
Produktentwicklung: Due Diligence und Taxonomie-Konformität
Der Produktentwicklungsprozess wird durch drei zentrale Säulen strukturiert. Die ESG-Due-Diligence erfordert eine systematische Analyse ökologischer und sozialer Risiken bereits in der Konzeptphase. Der Taxonomie-Abgleich stellt sicher, dass Produktkomponenten nachweislich der EU-Taxonomie entsprechen – ein entscheidender Schritt zur Verhinderung von Greenwashing. Schließlich muss eine exakte Zielmarktdefinition beschreiben, welche Endkundensegmente tatsächlich von ESG-Produkten profitieren.
Diese Anforderungen adressieren ein bekanntes Marktproblem: Eine Analyse der 20 größten europäischen Banken ergab, dass deren grüne Ziele und Offenlegungen oft nicht zweckdienlich sind und zu irreführenden Behauptungen führen können. Barclays beispielsweise, das sich als Europas größter Förderer fossiler Brennstoffe erwiesen hat, kategorisierte 2023 einen 10-Milliarden-Dollar-Kredit an Shell als „soziale und ökologische“ Finanzierung.
Lifecycle-Management: Kontinuierliche Überwachung nachhaltiger Versprechen
Die neuen Leitlinien etablieren ein umfassendes Lifecycle-Management für ESG-Produkte. Vor der Markteinführung müssen Banken ein schriftliches Produktkonzept mit klar definierten ESG-Zielen und -Kriterien erstellen. Ein standardisiertes ESG-Factsheet für Vertriebspartner und die vollständige Dokumentation aller Annahmen zu Rendite, Nachhaltigkeit und Risiko sind obligatorisch.
Besonders innovativ ist die Anforderung zur laufenden Produktüberprüfung. Große Institute müssen jährlich, kleinere Banken alle zwei Jahre die Zielerreichung evaluieren. Das kontinuierliche Monitoring der Taxonomie-Konformität und Nachhaltigkeitskennzahlen stellt sicher, dass ESG-Produkte auch langfristig ihren Versprechen gerecht werden. Bei Abweichungen vom definierten ESG-Profil müssen Produktmerkmale entsprechend angepasst werden.
Transparenz als Schlüssel zum Vertrauen
Die Transparenz- und Offenlegungspflichten bilden das Herzstück der neuen Regulierung. Vertriebspartner erhalten standardisierte Factsheets mit klaren ESG-Produktzielen, detaillierten Bewertungsmethoden wie CO₂-Fußabdruck oder Nachhaltigkeitsratings sowie präzisen Ausschluss- und Engagementkriterien. Kunden profitieren von einem „Pre-Sales Summary“, das die ESG-Eigenschaften kurz und verständlich darstellt, sowie von regelmäßigen Updates auf der Institutswebsite zu Performance und ESG-Impact.
Diese Maßnahmen sind dringend erforderlich: Eine Umfrage von 2023 ergab, dass drei von vier Kanadiern Bedenken über Greenwashing von Unternehmen und im Finanzsektor haben. In den USA hat die Securities and Exchange Commission erstmals 2022 Finanzinstitute für irreführendes Greenwashing bestraft, was die wachsende Aufmerksamkeit der Aufsichtsbehörden verdeutlicht.
Berichtspflichten: Standardisierung für Vergleichbarkeit
Die verpflichtende Meldung jedes neuen ESG-Produkts an die zuständige Nationalbehörde schafft einen umfassenden Überblick über den Markt. Einheitliche Reporting-Templates aggregieren wichtige Kennzahlen wie den Anteil Taxonomie konformer Aktiva, ESG-Risikokennzahlen (beispielsweise Klimarisikobewertungen) sowie Kundenfeedback und Beschwerdestatistiken.
Diese Standardisierung ist essentiell für die Marktentwicklung. Der nachhaltige Finanzmarkt wurde 2024 auf 5,87 Billionen US-Dollar geschätzt und soll bis 2034 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 19,8 Prozent expandieren. Ohne einheitliche Standards droht dieser Boom von systematischem Greenwashing untergraben zu werden.
EBA-Leitlinien: Zeitplan und Implementierung
Die Konsultation läuft bis zum 9. Oktober 2025, gefolgt von einer öffentlichen Anhörung am 11. September 2025. Die EBA plant, die finalen Leitlinien im ersten Quartal 2026 zu veröffentlichen. Große Institute müssen die neuen Regeln ab dem 1. Dezember 2026, kleinere Institute ab dem 1. Dezember 2027 anwenden. Diese gestaffelte Einführung berücksichtigt die unterschiedlichen Kapazitäten der Marktteilnehmer.
Integration in das europäische Regulierungsumfeld
Die EBA-Initiative steht nicht isoliert, sondern fügt sich in ein umfassendes regulatorisches Ökosystem ein. Die Harmonisierung mit MiFID II-Leitlinien zur ESG-Eignungsprüfung und die Abstimmung mit SFDR-Offenlegungspflichten für Finanzprodukte schaffen ein kohärentes Rahmenwerk. Parallel dazu hat die EBA bereits im Januar 2025 finale Leitlinien zum Management von ESG-Risiken veröffentlicht und arbeitet an Leitlinien für ESG-Szenarioanalysen.
Diese koordinierte Herangehensweise reflektiert die Erkenntnis, dass nachhaltige Finanzierung nur durch ein durchdachtes Zusammenspiel verschiedener regulatorischer Instrumente effektiv funktionieren kann. Die jüngsten Änderungen der Eigenkapitalrichtlinie (CRD6) haben bereits neue Bestimmungen zu ESG-Risiken eingeführt, die eine der rechtlichen Grundlagen für die POG-Leitlinien bilden.
Herausforderungen und Kritik
Trotz der positiven Zielsetzung stehen die neuen EBA-Leitlinien vor erheblichen Herausforderungen. Die Komplexität der ESG-Bewertung macht es schwierig, objektive und vergleichbare Standards zu entwickeln. Verschiedene Akteure verwenden unterschiedliche Definitionen von „grün“ und „nachhaltig“, was die internationale Koordination erschwert. Besonders problematisch ist, dass einige Banken kontroverse, kohlenstoffintensive Aktivitäten wie Erdgas oder Biomasse als „grün“ klassifizieren.
Ein weiteres Problem liegt in der praktischen Umsetzung. Während 85 Prozent der Vermögensverwalter ESG als hohe Priorität betrachten, äußern 64 Prozent Bedenken über mangelnde Transparenz und unternehmerische Offenlegung zu ESG-Aktivitäten. Die Gefahr des „Greenhushing“ – dem bewussten Herunterspielen von Nachhaltigkeitszielen aus Angst vor Greenwashing-Vorwürfen – könnte paradoxerweise die Transparenz verringern.
Ausblick: Wegbereiter für EU-weite Standards
Langfristig zielt die EBA auf die Schaffung eines EU-weiten Mindeststandards für glaubwürdige, nachhaltige Bankprodukte ab. Diese Vision gewinnt angesichts der Marktentwicklung an Bedeutung: Bis 2025 könnten ESG-Mandate Vermögenswerte die Hälfte aller professionell verwalteten Investments ausmachen und 35 Billionen US-Dollar erreichen.
Die Integration von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen in die ESG-Bewertung verspricht präzisere und zuverlässigere Analysen. Unternehmen wie Nasdaq haben bereits KI-gestützte Plattformen wie „Sustainable Lens“ eingeführt, um Investoren bei der Navigation durch ESG-Daten zu unterstützen. Diese technologischen Fortschritte könnten die Umsetzung der neuen EBA-Leitlinien erheblich erleichtern.
Fazit: Ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung
Die EBA-Konsultation zu grünen Produktaufsicht markiert einen Wendepunkt in der europäischen Finanzregulierung. Durch die Integration spezifischer ESG-Anforderungen in bestehende Aufsichtsstrukturen schaffen die Leitlinien ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Marktförderung und Verbraucherschutz. Die verhältnismäßige Herangehensweise vermeidet bürokratische Überlastung, während sie gleichzeitig klare Standards für nachhaltige Bankprodukte etabliert.
Der Erfolg dieser Initiative wird davon abhängen, wie effektiv sie Greenwashing verhindert, ohne Innovation und Wachstum im nachhaltigen Finanzsektor zu behindern. Die gestaffelte Einführung der Leitlinien und die umfassende Konsultation mit Marktteilnehmern zeigen, dass die EBA die Komplexität der Aufgabe ernst nimmt. Mit einem ESG-Markt, der bis 2030 auf über 40 Billionen US-Dollar anwachsen könnte, stehen die Weichen für eine nachhaltigere und transparentere Finanzindustrie.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob die europäische Bankenlandschaft bereit ist, diese Herausforderung anzunehmen und echte Nachhaltigkeit über bloße Marketingversprechen zu stellen. Für Verbraucher und Investoren bedeutet dies die Aussicht auf vertrauenswürdigere grüne Finanzprodukte – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.